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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/045

Auf­ruf zum Streik vom ei­ge­nen Ar­beits­platz

Der Auf­ruf zu ei­nem recht­mä­ßi­gen Streik über das E-Mail-Sys­tem des Ar­beit­ge­bers darf nicht ab­ge­mahnt wer­den: Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20.08.2010, 19 Sa 1835/09
Streik sechs Streikende Wie kön­nen die Ar­beit­neh­mer ei­nes Be­trie­bes zum Streik auf­ge­ru­fen wer­den?
04.03.2011. Je­der­mann und al­le Be­ru­fe ha­ben das Recht, zur Wah­rung und För­de­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen Ver­ei­ni­gun­gen zu bil­den. Die­ser in Art. 9 Abs. 3 Grund­ge­setz (GG) ge­re­gel­ten Ko­ali­ti­ons­frei­heit kommt nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ein be­son­ders ho­her Stel­len­wert zu. Ge­schützt wird nicht nur der Ein­zel­ne, son­dern auch der Be­stand, die Or­ga­ni­sa­ti­on und die Tä­tig­kei­ten der je­wei­li­gen Ko­ali­ti­on, d.h. bei­spiels­wei­se ei­ner Ge­werk­schaft.

Er­fasst sind al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Ver­hal­tens­wei­sen, wie et­wa die In­for­ma­ti­on von Mit­glie­dern und Nicht­mit­glie­dern über Ak­ti­vi­tä­ten der Ver­ei­ni­gung, die bei­spiels­wei­se der Ver­bes­se­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen die­nen sol­len. Eben­so er­fasst sind Wer­bung für die Ver­ei­ni­gung und die im Auf­trag ei­ner Ge­werk­schaft aus­ge­führ­ten Tä­tig­kei­ten ei­ner ge­werk­schaft­li­chen Ver­trau­ens­per­son.

Ob­wohl die Ko­ali­ti­ons­frei­heit im Grund­ge­setz nicht ein­ge­schränkt wird, hat auch sie Gren­zen. Sie ent­ste­hen im je­wei­li­gen Ein­zel­fall durch ih­rer­seits schüt­zens­wer­te ver­fas­sungs­recht­li­che Rechts­gü­ter. Es ist na­he lie­gend, dass bei ge­werk­schaft­lich tä­ti­gen Mit­ar­bei­tern hin und wie­der die Rech­te des Ar­beit­ge­bers, bei­spiels­wei­se sein Recht auf wirt­schaft­li­che Be­tä­ti­gungs­frei­heit oder sein Ei­gen­tums­recht, be­trof­fen sind.

Ein plas­ti­sches Bei­spiel für die­se wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen und wie die­ser Ge­gen­satz prak­tisch ge­löst wird, bie­tet ein vom Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) ent­schie­de­ner Fall (Ur­teil vom 20.08.2010, 19 Sa 1835/09).

Ei­ne ge­werk­schaft­lich ak­ti­ve Kran­ken­schwes­ter war hier von ih­rem Ar­beit­ge­ber, ei­nem Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum, ab­ge­mahnt wor­den. Sie hat­te wäh­rend ei­nes Ta­rif­kon­flik­tes von ih­rem Ar­beits­platz aus, oh­ne Ab­stim­mung mit dem Ar­beit­ge­ber, an die be­trieb­li­chen E-Mail-Adres­sen von et­wa 140 Kol­le­gen ei­ne Nach­richt ver­schickt, in der sie über ei­nen von ih­rer Ge­werk­schaft ge­plan­ten Warn­streik be­rich­te­te. Die E-Mail ent­hielt auch ei­nen Streik­auf­ruf so­wie Wer­be­ma­te­ri­al. Dar­auf­hin er­hielt sie ei­ne Ab­mah­nung, ge­gen die sie sich zu­nächst ver­geb­lich vor dem Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main wehr­te (Ur­teil vom 23.09.2009, 14 Ca 5940/09).

In zwei­ter In­stanz hat­te sie hin­ge­gen Er­folg. In ei­ner sehr aus­führ­lich be­grün­de­ten Ent­schei­dung wog das Hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt sorg­fäl­tig das In­ter­es­se der Ge­werk­schaft an der Wahr­neh­mung ih­rer Auf­ga­ben und das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers, sei­nen "Kampf­geg­ner" nicht zu un­ter­stüt­zen, ge­gen­ein­an­der ab.

Im Er­geb­nis konn­te der Ar­beit­ge­ber dem ho­hen Gut der Ko­ali­ti­ons­frei­heit und sei­ner ef­fek­ti­ven Wahr­neh­mung kei­ne in nen­nens­wer­ten Um­fang be­trof­fe­nen Rech­te ent­ge­gen­hal­ten. Er­höh­te Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­kos­ten hat­te er nicht aus­rei­chend dar­ge­legt. Sol­che wä­ren an­ge­sichts der weit ver­brei­te­ten Fest­prei­se auch eher un­wahr­schein­lich.

Den mit dem Le­sen der E-Mails ver­bun­de­nen Ar­beits­zeit­aus­fall hat­te der Ar­beit­ge­ber nur grob bzw. un­zu­rei­chend ge­schätzt. Ab­ge­se­hen da­von hat­te er in der Ver­gan­gen­heit auch die Pri­vat­nut­zung von E-Mails ge­dul­det und da­mit zu er­ken­nen ge­ge­ben, den ent­spre­chen­den Zeit­auf­wand für ver­nach­läs­si­gens­wert zu hal­ten.

Schließ­lich hat­te der Ar­beit­ge­ber auch nicht ge­nü­gend da­zu vor­ge­tra­gen, ob und in wel­chem Um­fang durch den Aus­druck der E-Mail Pa­pier und To­ner ver­braucht wor­den wa­ren. Es war auch kei­nes­wegs so, dass der Ar­beit­ge­ber hier ge­zwun­gen wur­de, die Mit­glie­der sei­nes Geg­ners zu mo­bi­li­sie­ren. Er muss­te ent­spre­chen­de Ak­ti­vi­tä­ten der Ge­werk­schaft le­dig­lich dul­den. Das ist aber auch bei klas­sisch mög­li­chen Streik­auf­ru­fen wie bei­spiels­wei­se ei­nem Aus­hang am schwar­zen Brett der Fall.

Die Ar­beit­neh­me­rin hat­te da­mit le­dig­lich recht­mä­ßig ih­re Grund­rech­te wahr­ge­nom­men und folg­lich nicht ge­gen Ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten ver­sto­ßen. Die Ab­mah­nung war da­her aus Sicht des LAG rechts­wid­rig.

Mit die­ser Ein­schät­zung gab sich das Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum al­ler­dings nicht zu­frie­den. Es leg­te die vom Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­ne Re­vi­si­on ein, die nun beim Bun­des­ar­beits­ge­richt un­ter dem Ak­ten­zei­chen 2 AZR 590/10 an­hän­gig ist.

Fa­zit: Die Ent­schei­dung ist über­zeu­gend be­grün­det und dürf­te da­her auch vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt Be­stand ha­ben. In die­sem spe­zi­el­len Fall kommt noch hin­zu, dass das LAG die Ab­mah­nung auch we­gen Ver­sto­ßes ge­gen ein in ei­nem Ta­rif­ver­trag ent­hal­te­ne Maß­re­ge­lungs­ver­bot für un­wirk­sam hielt. Es ist da­mit of­fen, ob das Bun­des­ar­beits­ge­richt sei­ne Chan­ce nut­zen und Aus­füh­run­gen zur Ko­ali­ti­ons­frei­heit ma­chen oder der Ein­fach­heit hal­ber nur dem zwei­ten Be­grün­dungs­an­satz des LAG fol­gen wird.

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 26. November 2018

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